Hamburg testet Bürgerversicherung für Beamte

Dieses Jahr ist es nun soweit – Hamburg führt im August ein Modell der Bürgerversicherung ein und lässt junge Beamte selbst entscheiden, ob sie sich privat oder gesetzlich versichern lassen. Dieser Test trifft, wie erwartet, nicht nur auf Zuspruch.

Aktueller Stand zur Bürgerversicherung
Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) hat Grund zur Freude: Hamburg testet ab August 2018 als erstes Bundesland ein Modell der Bürgerversicherung und ebnet damit jungen Beamten den Weg in die gesetzliche Krankenversicherung. Die Senatorin hofft, dass später weitere Personengruppen folgen können.
Ziel der Bürgerversicherung ist, das duale System zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung in den Hintergrund zu stellen und eine gesundheitliche Grundversorgung für die Allgemeinheit zu schaffen. Alle Bürger, ungeachtet ihres sozialen Standes, würden in eine gesetzliche Krankenkasse einzahlen und bei Bedarf aus dieser Leistungen in Anspruch nehmen. So zumindest die Vision der SPD.
Das Modell der SPD
Die Realität sieht derzeit allerdings noch anders aus. Denn ab August dieses Jahres können erstmal nur junge Beamte das neue Modell testen und frei wählen, ob sie sich gesetzlich oder privat versichern lassen wollen. Anderen privat versicherten Personen, wie Selbstständigen wird diese Wahlfreiheit nicht gewährt.
Bisher müssen sich Beamte quasi privat versichern, erhalten aber eine besondere staatliche Fürsorge zur Kostendeckung, bekannt als „individuelle Beihilfe“. Entscheiden sich Beamte ab August für eine gesetzliche Versicherung, erhalten diese den Arbeitgeberanteil von ihrem Dienstherren – wie alle anderen Arbeitnehmer – in Form einer Pauschale ausgezahlt. Der Betrag ist gleichbedeutend mit dem Arbeitgeberanteil, den auch gesetzlich Versicherte erhalten.
Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, seines Zeichens ebenfalls stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD, lässt verlauten, die Hansestadt schreibe mit diesem Test „Sozialgeschichte“. Weiterhin erklärt er, Hamburg leiste „mit der Reform einen Beitrag, das Krankenversicherungssystem zu modernisieren und für mehr Wettbewerb zu sorgen“.
Erwartungen an Hamburger Testmodell
Der allgemeine Beitragssatz zur Krankenversicherung staffelt sich im Hamburger Test der Bürgerversicherung dann nur noch nach dem Einkommen und nicht mehr nach Alter, Kinderzahl, Vorerkrankungen oder anderen Kriterien, wie es bisher der Fall ist. Das bedeutet den Wegfall von Risikozuschlägen von bereits chronisch kranken Menschen. Besonders in solchen Fällen oder im Alter, kann eine private Krankenversicherung sehr teuer werden. Allgemein wäre der Wechsel eine Entlastung für privat versicherte Beamte, die vergleichsweise wenig verdienen. Einer weiteren Vorteil der GKV ist die kostenlose Mitversicherung von Familienmitgliedern ohne eigene Einkünfte.
Befürworter einer Bürgerversicherung, wie die SPD, die Grüne und die Linke, versprechen sich durch ein einheitliches System mehr Gerechtigkeit bei Qualität und Nutzung der Versicherungsleistungen, als auch bei der solidarischen Beitragsfinanzierung und möchten das Leistungsniveau der Grundversorgung für jeden Bürger erhöhen. Zudem werden höhere Einnahmen der GKV erwartet. Als zusätzlicher Effekt soll der Wettbewerb von Privatkassenärzten und Ärzten gesetzlicher Kassen entzerrt werden.
Beitragssenkung nach Konzepten der Linken
Für junge Beamte, aber auch für alle anderen Versicherten bedeutet das neue System jedoch in erster Linie eine Änderung des Beitrags für die Krankenversicherung. Derzeit gehen im Schnitt rund 15,5 Prozent des Gehalts für die gesetzliche Krankenversicherung ab, die sich aus 7,3 Prozent für den Arbeitgeber und 7,3 Prozent plus Zusatzbeitrag für den Arbeitnehmer zusammensetzen. Konzepte der Linken sagen eine Senkung des Beitrags auf 12 Prozent vorher, die die Versicherten um mehrere Millionen Euro entlasten könnten. Zudem wird der Zusatzbeitrag, den nur Arbeitnehmer entleisten, abgeschafft.
Ganz Allgemein erfreut sich das Hamburger Testmodell einer hohen Beliebtheit unter den Bürgern, da das Solidarprinzip gestärkt und die bisherige Zweiklassenmedizin abgeschafft wird, da jedem, zumindest in der Theorie, die gleichen Leistungen zur Verfügung stehen.

Kein Wechsel für langjährige Beamte
Die Hamburger Landesregierung schließt langjährige Beamte beim Test der Bürgerversicherung aufgrund des geltenden Krankenversicherungsrechts aus. Nur neuen Beamte und denjenigen, die bereits jetzt schon freiwillig zu einem höheren gesetzlichen Beitragssatz versichert sind, wird die Wahl zwischen gesetzlicher und privater Versicherung überlassen.
Außerdem soll der Wechsel zwischen der individuellen Beihilfe und der Pauschale nur ein einziges Mal möglich sein, um “Optimierungsstrategien” entgegenzuwirken. Ein häufiger Wechsel der Beamten, je nach Lebenssituation zwischen der privaten Versicherung und dem neuen Testmodell, würde das Finanzierungsmodell der Bürgerversicherung schwächen, erklärt der Senat.
Ärzteverbände sind gegen Einführung einer Bürgerversicherung
Mehrere Ärzteverbände sprechen sich ganz klar gegen eine Bürgerversicherung aus. Mit dabei sind unter anderem der NAV-Virchowbund mit etwa 12.000 Mitglieder und der Spitzenverband der Fachärzte Deutschlands.
Die beiden Verbände ließen in den letzten Tagen seinen Mitgliedern ein Informationsschreiben von Dr. Dirk Heinrich, dem Bundesvorsitzenden des NAV-Virchowbunds zukommen, mit dem sich Ärzte auf Gespräche mit Patienten zum Thema Bürgerversicherung vorbereiten können. Diese gilt es den Patienten leicht verständlich zu vermitteln. In dem Informationspapier geht es um die Auseinandersetzung mit Argumenten der Befürworter und deren Entkräftung. Weiterhin kritisieren die Ärzte stark die Forderungen der SPD und sind überzeugt, dass mit Begriffen wie „Wahlfreiheit für Beamte“ und „Beitrags-Parität“ nun “knallharte Tatsachen in Richtung einer unumkehrbaren Einheitskasse geschaffen werden sollen“.
Auch auf der Website des NAV-Virchowbunds heißt es „Never change a running system!“. Dort werden unter anderem zehn Alternativen zum Hamburger Test präsentiert.
Auch der SpiFa bezieht sich in einer aktuellen Pressemeldung auf Dr. Dirk Heinrichs Informationspapier. Mit der neuen einheitlichen Gebührenordnung des Hamburger Modells “sollen die Fundamente des ärztlichen Selbstverständnisses erschüttert werden”. Dazu zählen die Freiberuflichkeit und die eigenständige Bestimmung der Vergütung.
Das Informationspapier soll neben aufklären und informieren auch verdeutlichen, dass die bevorstehenden Veränderungen enorme und unumkehrbare Konsequenzen für die Berufsausübung von Ärzten nach sich ziehen.

In Verbindung mit der Gegenwehr, die die SPD momentan von vielen Ärzteverbänden bekommt, drohen diese mit Protestaktionen, zu denen auch vorübergehende Praxisschließungen gehören.
Die PKV lehnt das Testmodell ab
Ein weiterer klarer Gegner der Bürgerversicherung ist der Verband der privaten Krankenversicherung. Gesprochen wird auf deren Website von dem “Beginn einer echten Zwei-Klassen-Medizin”, obwohl die Deutschen mit dem bestehenden System vollkommen zufrieden seien. Ein große Rolle spiele dabei die Wartezeit auf einen Arzttermin. Die PKV argumentiert, dass Wartezeiten in Deutschland für einen Arzttermin im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr kurz ausfallen. Eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der PKV ergab dazu, dass 76 Prozent noch am selben oder spätestens am nächsten Tag einen Arzttermin erhielten, wenn sie ärztliche Hilfe benötigten. In Norwegen zum Beispiel, trifft dies nur auf 52 Prozent der Befragten zu.
Auch das Leistungsspektrum könne sich sehen lassen, denn jeder Deutsche, egal ob privat oder gesetzlich versichert, hat freie Arztwahl und den Zugang zu jedweder medizinischer Technik.
Weiterhin fürchtet der Verband, dass womöglich tausende Arztpraxen schließen müssen, da niedergelassene Ärzte im Falle einer Bürgerversicherung jährlich mehr als sechs Milliarden einbüßen müssten. Im Schnitt bedeutet das über 50.000 Euro Verlust pro Arztpraxis.
PKV sieht Stagnation des Wettbewerbs anstatt Stärkung
Während die SPD der Meinung ist, das neue System stärke den Wettbewerb, sieht der Verband der privaten Krankenversicherung das Gegenteil kommen.
Der momentane Wettbewerb zwischen der GKV und der PKV sichere medizinischen Fortschritt, da die private Krankenversicherung häufig neuartige Therapien und Geräte erstattet, woraufhin auch die gesetzliche Krankenkasse auf den Zug mit aufspringt. Die Reform jedoch würde dieses Prinzip zum Erliegen bringen.
Auch die GKV lehnt die Bürgerversicherung ab
Die gesetzliche Krankenversicherung warnt ebenfalls vor der Einführung der Bürgerversicherung.
“Die offensichtlichen Probleme der privaten Krankenversicherung dürfen nicht auf dem Rücken der Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung gelöst werden” ließ die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, in ihrem Statement zur Bürgerversicherung verlauten. Sie kritisierte dabei die individuellen Wechseloptionen von der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung für Beamte. Daraus können höhere Arzthonorare für privat Versicherte resultieren, die zu Lasten gesetzlich Versicherter angeglichen werden. Das wiederum würde, entgegen den Konzepten der Linken, zu höheren Beitragssätzen führen.
Pfeiffer ärgere zudem die Tatsache, dass die Versorgung in GKV immer wieder schlecht geredet wird und beispielsweise für Beamte nicht zumutbar sei.

Chef der TK warnt vor zu viel Aktionismus
Jens Baas, der Chef der Techniker Krankenkasse, sieht durchaus Potenzial für eine einheitliche Versicherung. „Früher oder später müssen wir den Weg in einen einheitlichen Versicherungsmarkt finden“, ließ er in einem Interview verlauten. Der Weg in eine einheitliche Versicherung solle jedoch sorgfältig geplant und nicht überstürzt werden. Baas sagte weiterhin, die Politik dürfte nicht in einen Aktionismus verfallen.
Ein Belastung für gesetzlich Versicherte sieht der TK-Chef darin, „wenn teure Versicherte aus der privaten Krankenversicherung wieder in die Solidargemeinschaft integriert werden, nachdem sie sich in jungen Jahren dem System entzogen haben“. Von der freiwilligen Wechseloption sollten deshalb in erster Linie privat Versicherte profitieren, die aufgrund ihres hohen Alters ihre Beiträge nicht mehr zahlen können oder durch Risikozuschläge sehr belastet werden, weil sie chronisch krank sind.
Wie bereits erwähnt, schließt Hamburg jedoch langjährige Beamte von der Wechseloption aus.
Andere kritische Stimmen
Ulrich Silberbach, der Vorsitzende des Beamtenbundes, sagt dagegen in einem Statement: “Das Einheitsversicherungsmodell der SPD löst weder die finanziellen oder strukturellen Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung, noch sorgt es für mehr Gerechtigkeit. Im Gegenteil, mangels Konkurrenz und Quersubventionierung werden am Ende alle gesetzlich Versicherten schlechter versorgt sein als heute und die, die es sich leisten können, werden sich qualitativ hochwertige ärztlich Versorgung auf dem “Markt” dazu kaufen.”
Der CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn verweist in einem Interview mit dem Magazin Stern darauf, dass “die Einheitskasse ist für alle ist derzeit nun mal nicht so wichtig, wie der Zusammenhalt der Gesellschaft“ und fordert die SPD auf, das Thema Bürgerversicherung erst einmal zurückzustellen.
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